Aufklärung heute = Aufklärung 4.0

di Gereon Wolters

 

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit.
Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen.
Sapere aude! Habe Muth dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung“.[1]

 

Aufklärung 1.0 – Wissen

Vorbemerkung: die Bezeichnungen „Aufklärung 1.0“ usw. verwende ich in Analogie zu den verschiedenen Stufen, die vielfach im Kontext der Entwicklung der industriellen Revolution unterschieden werden.[2]
Aufklärung begann, als Menschen sich erstmals ihres eigenen Verstandes „ohne Leitung eines anderen zu bedienen“ begannen. Das war – soweit wir wissen[3] – erstmals vor ca. 2.600 Jahren der Fall. Der erste in diesem Sinne aufgeklärt agierende Mensch war Thales von Milet (ca. - 625 bis ca. - 545). Gemessen am Alter der Menschheit sind 2.600 Jahre Aufklärung nicht viel. Aufklärung ist aber nicht nur ein relativ neues Phänomen der Menschheitsgeschichte, es war auch noch nie ein Massenphänomen. Das gilt insbesondere für die Aufklärung 1.0. Von ihr konnte nur eine kleine Minderheit profitieren, die des Lesens und Schreibens kundig war, sich gleichzeitig für die verhandelten Themen interessierte und noch dazu eine der wenigen Handschriften zu Gesicht bekam.
Was hat Thales nun Besonderes geleistet? Was unterscheidet ihn von hellen und interessanten Köpfen vor ihm, deren Werke wir kennen, z.B. Homer und Hesiod. Thales ist der erste, der in einem engen Bereich, nämlich der Geometrie, die Forderung aufgestellt hat, dass geometrische Sätze bewiesen werden müssten.[4] Schon vorher hatten z.B. Babylonier, Ägypter oder Inder erfolgreich mit geometrischen Theoremen operiert, ohne je das Bedürfnis zu verspüren, eines zu beweisen. Der praktische Erfolg war ihnen Beweis genug. Thales macht den ersten Schritt zu dem, was Mittelstraß „vernünftige Selbständigkeit“ nennt. Dieser Schritt lässt sich in methodologischer Perspektive als Universalisierung kennzeichnen: ein geometrischer Satz gilt als bewiesen, wenn sich jeder Mensch, ganz unabhängig von kultureller Zugehörigkeit, allgemein akzeptierten Verfahren folgend, von dessen Geltung überzeugen kann. – Der Begriff der Universalisierung durchzieht die ganze Geschichte der Aufklärung. Sein Gegenbegriff ist der Kulturrelativismus, der uns in Aufklärung 4.0 beschäftigen wird.
Griechische Philosophie und Wissenschaft – beides fällt in den Anfängen zusammen - überträgt die von Thales initiierte Idee des Beweises von der Geometrie auf außergeometrische Bereiche. Die vorsokratische Naturphilosophie mit ihrer Annahme unterschiedlicher Urstoffe, Archai (á¼€ρχαί), als physischen Entstehungsgründen und Entwicklungsprinzipien versteht die Natur und was in ihr geschieht, nicht mehr als Werk und Wirken von Göttern. Natürliche Phänomene haben selbst wieder einen natürlichen Ursprung, eben die Archai - bei Thales z.B. ist es das Wasser, bei Heraklit das Feuer. Der Ausschluss der Götter aus ihrem bisherigen weltschaffenden und welterhaltenden Kerngeschäft geht bei Xenophanes (ca. - 570 bis ca. - 475) soweit, dass er sogar deren Existenz infrage stellt und den Glauben an sie entmythologisierend zu erklären versucht: 

Wenn aber die Rinder und Pferde und Löwen Hände hätten und mit diesen malen könnten und Bildwerke schaffen wie die Menschen, so würden die Pferde die Götter abbilden und malen in der Gestalt von Pferden, die Rinder in der von Rindern, und sie würden solche Statuen meißeln, ihrer eigenen Körpergestalt entsprechend.[5]

Eine zweite Komponente von Aufklärung 1.0 besteht in der methodologischen Reflexion von Beweisidee und Beweisverfahren. Hier finden wir erste wissenschaftstheoretische Arbeiten, vor allem von Aristoteles.
In einem dritten Schritt erfolgt schließlich die Ausdehnung der Idee vernünftiger Selbständigkeit von der wissenschaftlichen Theorie und Methodenreflexion in den Bereich der moralischen Praxis. Hier geht es um die argumentative „Verständigung über das gemeinsam Gute“ [6] – ein Projekt, dass vor allem mit dem Namen von Sokrates verbunden ist.
Beweispflicht, methodologische Regeln und Ethik - und das alles losgelöst von göttlichen Eingebungen und Vorschriften: damit waren - trotz aller Unvollkommenheiten - die Weichen gestellt: Aufklärung als ein Menschheitsprojekt war geboren.

 

Aufklärung 2.0 – Freiheit

Die Aufklärer in den Zeiten von Aufklärung 1.0 kannten das Wort „Aufklärung“ nicht. Jene Selbstreflexion eigenen Tuns, die sich auch lexikalisch niederschlägt, finden wir erst in Aufklärung 2.0. „Aufklärung“ wird hier nicht nur als eine Bezeichnung für die Ausübung vernünftiger Selbständigkeit verstanden, sondern entwickelt  sich zu einem selbstgewählten Epochenbegriff und bezeichnet das Zeitalter der Aufklärung.[7] Vorbereitet durch die Renaissance und katalysiert auch durch das Zerbrechen des katholischen Glaubensmonopols in der Reformation, bedeutete Aufklärung 2.0. einen Bruch mit dem religionsdominierten Mittelalter. – In Aufklärung 2.0 fühlen sich heutige Aufklärer theoretisch schon ziemlich zu Hause. Hier sind (fast) alle Grundlagen gelegt, die die weitere Geschichte der Aufklärung kennzeichnen.[8] Freilich, wie Aufklärung 1.0 war auch Aufklärung 2.0. kein Massenphänomen. Dennoch waren wesentlich breitere Bevölkerungsschichten involviert als in Aufklärung 1.0. Das hat vielfältige Ursachen. Um 1450 hatte Johannes Gutenberg (1400 - 1468) die Buchdruckerkunst mit beweglichen Lettern erfunden. Lesestoff wurde dadurch, verglichen mit der handschriftlichen Kultur der Antike der Mittealters, massenhaft und billig verfügbar. Damit war eine wichtige materielle Voraussetzung für die Erhöhung des Alphabetisierungsgrades gegeben. Die Aufklärer selbst – darunter auch absolutistische Despoten wie Friedrich der Große – betonten den Zusammenhang von schulischer Erziehung und Aufklärung, was bereits 1763 in Preußen zum „Generallandschulreglement“ führte. In diesem wurde der Schulbesuch zwar nicht verpflichtend, aber immerhin seitens der Obrigkeit dringend empfohlen. Gleichzeitig wurde langsam eine schulische Infrastruktur auf dem Lande aufgebaut.[9]

Aufklärung 2.0 steht unter dem Leitbegriff der Freiheit. Die zentrale Rolle der Freiheit hatte – wie schon angedeutet - ihre Vorstufen in Renaissance und Reformation. Beide geistige Strömungen stellten auf jeweils eigene Weise den Menschen als Individuum ins Zentrum. In seiner Kultur der Renaissance in Italien schreibt Jacob Burckhardt (1818-1897):

„Im Mittelalter […] (erkannte sich der Mensch) nur als Rasse, Volk, Partei, Korporation, Familie oder sonst in irgendeiner Form des Allgemeinen. In Italien zuerst […] erwacht eine objektive Betrachtung und Behandlung des Staates und der sämtlichen Dinge dieser Welt überhaupt; daneben aber erhebt sich mit voller Macht das Subjektive; der Mensch wird geistiges Individuum und erkennt sich als solches“.[10]

Die Reformation – ansonsten nicht wirklich eine Aufklärungsbewegung – stellte das möglichst auf eigener Lektüre beruhende, individuelle Verständnis der Schrift in den Vordergrund. Luthers deutsche Bibelübersetzung ist der materielle Ausdruck dieser theologischen Konzeption. Das protestantische Vertrauen in die religiöse Urteilskraft des Individuums wurde in „Rom“ nicht geteilt. Der erste römische „Index verbotener Bücher“ von 1559 griff eine bewährte mittelalterliche Tradition wieder auf und verbot alle volkssprachlichen Übersetzungen der Bibel, darunter natürlich die Luthersche.[11] Aus römischer Sicht kann der Gläubige die Bibel nur unter Anleitung kirchlicher Autoritäten richtig verstehen.
Von der Wertschätzung, ja Autonomie des Individuums gegenüber familiären, gesellschaftlichen, sozialen oder religiösen Kollektiven in Renaissance und Reformation ist es kein allzu großer Schritt bis zur Einforderung jener Bedingungen, welche eine solche Autonomie erst möglich machen oder sie zumindest sehr fördern. Diese bündeln sich – wie schon angedeutet - im Begriff der Freiheit. Kaum ein philosophischer Text zeigt die zentrale Rolle von Freiheit besser als Kants Beantwortung der Frage: >Was ist Aufklärung?< aus dem Jahre 1784. Die mediale Form des Aufrufs in einer Monatszeitschrift kann im Übrigen als Programm verstanden werden. Obwohl sich letztlich das Individuum aufklären soll, sind die Chancen, dass ihm das alleine gelingt, eher gering. Aufklärung braucht „Publikum“, d.h. Öffentlichkeit. Und eben dem Öffentlichkeitsaspekt von Aufklärung entspricht, dass Kant das Diskussionsforum der „Berlinischen Monatsschrift“ gewählt hat.[12]
Folgende Punkte, – es sind zumeist Postulate - die man so oder ähnlich auch bei anderen Aufklärern findet, möchte ich am Kantischen Text hervorheben:

  • Freiheit: Für „Aufklärung aber wird nichts erfordert als Freiheit […] von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen“.[13]
  • Mut und Einsatzwille: „Faulheit und Feigheit “werden von Kant als „Ursachen“ von Aufklärungsverweigerung genannt.[14]
  • Frauenaufklärung: Aufklärung ist genderneutral und gilt – eine große Neuerung! - auch für Frauen. Frauen werden daran gehindert, sich aufzuklären, weil sie von den Männern im Haustiermodus gehalten werden: „Nachdem sie ihr Hausvieh zuerst dumm gemacht haben, und sorgfältig verhüteten, daß diese ruhigen Geschöpfe ja keinen Schritt außer dem Gängelwagen, darin sie sie einsperreten, wagen durften; so zeigen sie ihnen nachher die Gefahr, die ihnen drohet, wenn sie es versuchen alleine zu gehen“.[15]
  • Religionskritik: Aufklärung wird von Kant „vorzüglich in Religionssachen gesetzt“[16] Selbst dort ist – dem späteren päpstlichen Unfehlbarkeitsdogma zum Trotz! -  ein „letztes Wort“ ausgeschlossen:[17] Ein Versuch z.B., „sich eidlich unter einander auf ein gewisses unveränderliches Symbol [= Glaubensbekenntnis] zu verpflichten, um so eine unaufhörliche Obervormundschaft […] über das Volk zu führen, […] (ein) solcher Kontrakt, der auf immer alle weitere Aufklärung vom Menschengeschlechte abzuhalten geschlossen würde, ist schlechterdings null und nichtig. […] Das wäre ein Verbrechen wider die menschliche Natur“.[18]
  • Zensurfreiheit: Zensur ist nicht nur Einschränkung der Freiheit der Zensierten, sondern des Herrschers unwürdig: „Es thut selbst seiner Majestät Abbruch, wenn er sich hierin mischt, indem er die Schriften, wodurch seine Unterthanen ihre Einsichten ins Reine zu bringen versuchen, seiner Regierungsaufsicht würdigt“.[19]
  • Prozesscharakter: „Wenn denn nun gefragt wird: Leben wir jetzt in einem aufgeklärten Zeitalter? So ist die Antwort: Nein, aber wohl in einem Zeitalter der Aufklärung. Daß die Menschen, wie die Sachen jetzt stehen, im Ganzen genommen, schon im Stande wären […] in Religionsdingen sich ihres eigenen Verstandes ohne Leitung eines Anderen sicher und gut zu bedienen, daran fehlt noch sehr viel“.[20]
  • Universalistische Ethik. Aufklärung 2.0 beseitigt ferner ein zentrales Manko von Aufklärung 1.0: die Beschränkung vollen moralischen Respekts auf die Männer der Polis.[21] In der Ethik von Aufklärung 2.0 – sowohl in ihrer Kantischen deontologischen wie auch in der englischen utilitaristischen Variante - gilt zum ersten Mal in der Geschichte der Ethik das Universalisierungsprinzip:  Gegenstand moralischen Respekts unseres Handelns und der dieses leitenden Normen sind alle davon betroffenen Menschen, unabhängig von allen sonstigen Unterschieden zwischen ihnen.

Reinhard Mocek hat auf ein weiteres, wesentliches Charakteristikum der Aufklärung aufmerksam gemacht:

  • Fortschritt. Die von Kant geforderte Freiheit des „öffentlichen Gebrauchs der Vernunft“ vollzieht sich in Wissenschaftsform und der Wissenschaftsprozess verläuft ab dem 18. Jahrhundert in der Perspektive des Fortschritts und sichert der Wissenschaft ein bis dahin ungeahntes gesellschaftliches Prestige, nicht zuletzt deshalb, weil wissenschaftsinduzierter Fortschritt in das Leben der Menschen ganz anders eingreift als staubige Stubengelehrsamkeit. Mocek beobachtet mit Blick auf die Medizin:  „Die Verpflichtung des Staates, Vorsorge für eine öffentliche Gesundheitspflege zu leisten, stand ebenso auf dem Programm der Aufklärung wie die allerdings nur zögerlich einsetzende Hinwendung zu den Geisteskranken als Gegenstand der Medizin. […][22]

Die großartige Kantische Analyse des Aufklärungsbegriffs hat jedoch auch ihre weißen Flecken. Ich möchte drei davon hervorheben

  • Trennung von Staat und Religion: Zweifellos einer der wichtigsten Errungenschaften von Aufklärung 2.0. Obwohl Kant aufklärerische Religionskritik für eine wichtige Aktivität aufgeklärter Geister hielt, hielt er sich mit der Forderung einer Trennung von Staat und Religion zurück. Dieses radikale Postulat – erstmals wohl von Spinoza in seinem Tractatus theologico-politicus aufgestellt[23] - wurde vielmehr in Frankreich populär. Frankreich, man denke nur an die französische Revolution, war ja generell viel radikaler als Deutschland. Vielleicht lag das nicht zuletzt daran, dass es in Deutschland nicht jene Öffentlichkeit der Höfe, Clubs, Salons und Zeitschriften für ein allgemeines Publikum gab, die in Frankreich (und ähnlich in England) schon lange selbstverständlich war und die Verbreitung aufklärerischer Ideen förderte.[24] Die Forderung einer Trennung von Staat und Religion steht in engem Zusammenhang mit dem Toleranzprinzip: eine jede soll nach ihrer Façon selig werden können.[25] 
  • Menschenrechte. Sie bilden bereits acht Jahre vor Kants Aufklärungs-Schrift das Herz der amerikanischen Declaration of Independence von 1776[26] und haben fünf Jahre danach in der revolutionären „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte“ von 1789 bereits Titelkraft erlangt.[27] Menschenrechte sind gewissermaßen die politische Einlösung aufklärerischer Freiheitsrechte für alle Menschen.
  • Demokratie. Kant hat – anders als viele andere Aufklärer - den engen Zusammenhang von Aufklärung und Demokratie nicht erkannt.[28]
  • Soziale Gerechtigkeit. In der Kantischen Analyse, fehlt, ungeachtet ihrer Sensibilität für die Freiheitsverhinderung durch Männer und politische sowie religiöse Autoritäten, der Gedanke, dass soziale Gerechtigkeit eine praktische Vorbedingung dafür darstellt, sich des eigenen Verstandes zu bedienen. Dieses Manko teilt Kant mit fast allen anderen Vertretern von Aufklärung 2.0.[29]

Aufklärung 2.0 – so attraktiv sie uns Heutigen erscheinen mag – offenbart aber auch bereits Schwachstellen, die vermutlich jeder Aufklärung inhärent sind: Erstens der Konflikt zwischen hehrer, universalistischer Theorie und dagegen verstoßender, diskriminierender Praxis. Und zweitens das Scheitern von Versuchen, Aufklärung mit Gewalt durchzusetzen.

Zum Theorie-Praxis-Konflikt, der ja jeder von uns aus dem eigenen Leben vertraut ist:  Der zweite Satz der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung hat wohl für alle Menschen einen wunderbaren sound:  «We hold these truths to be self-evident, that all men [!] are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness.« – Der Hauptverfasser der Unabhängigkeitserklärung ist Thomas Jefferson (1743-1826), der im Laufe seines Lebens um die 600 Sklaven besessen hat und von seiner Sklavin Sally Hemings fünf Kinder.[30] – Es gibt keine Hinweise darauf, dass Jefferson hier einen größeren Widerspruch gesehen hätte. Damit befand er sich im Übrigen mit der Mehrheit seiner Landsleute in größerer oder geringerer Übereinstimmung: Erst 1865 wurde die Sklaverei für das gesamte Gebiet der Vereinigten Staaten abgeschafft, und es dauerte noch einmal ein Jahrhundert, bis in die 1960er Jahre, bis sich in der US-amerikanischen Gesetzgebung und im Verordnungswesen wenigstens formal durchsetzen konnte, „that all men are created equal“. – Ein vielleicht nicht minder widersprüchlicheres und abstoßendes Kapitel ist der im Zeitalter der Aufklärung aufblühende Kolonialismus europäischer Länder, an dessen Basis neben der Gier nach Reichtum durch Ausplünderung der Kolonien und nachweltpolitischer Macht, die allem Universalismus Hohn sprechende, rassistische Konzeption der multiplen Überlegenheit der Europäer über Afrikaner, Asiaten und australische Ureinwohner stand.

Gewaltsame Aufklärung. Echte Aufklärer sind überzeugt, dass sie Recht haben. Dafür gibt es auch gute und universalisierbare Argumente. Das wiederum befördert die Versuchung, das als richtig Erkannte mit allen Mitteln politisch, sozial und gesellschaftlich durchzusetzen – einschließlich Terror und Gewalt: eine sehr spezielle und destruktive „Dialektik der Aufklärung“. Das erste Beispiel für diese destruktive Dialektik ist der „Tugendterror“ der französischen Revolution der Jahre 1793/94. Danton und Robespierre waren seine Protagonisten – und fielen ihm 1794 selber zum Opfer. Der Tugendterror der französischen Revolution verweist auf das grundsätzliche Problem, wie sich Aufklärung auf eine mit ihren Idealen vereinbare Weise erreichen lässt. Ohne positive oder doch zumindest nicht hinderliche politische Randbedingungen wird sich dies kaum erreichen lassen. Das führt Aufklärerinnen in ein Dilemma: ohne politische Macht bleiben sie wirkungslos und mit ihr droht ihren Idealen der Untergang. Denn im historischen und geographischen Weltmaßstab erscheint Politik zumeist als gewaltförmige Durchsetzung von Machtinteressen. Ich möchte dies das Burckhardt-Paradox der Aufklärung nennen: „Und nun ist die Macht an sich böse, gleichviel wer sie ausübe. Sie ist kein Beharren, sondern eine Gier und eo ipso unerfüllbar, daher in sich unglücklich und muss also andere unglücklich machen.“[31] – Aufklärung 3.0, der wir uns nun zuwenden, ist am Burckhardt-Parodox gescheitert.

 

Aufklärung 3.0 - soziale Gerechtigkeit

Aufklärung 2.0 war der vielleicht entscheidende Katalysator für die Entwicklung der Industriegesellschaft. Die Industrie baute zunehmend auf technische Erfindungen, die eine von wissenschaftsexternen Autoritäten freie Wissenschaft ermöglicht hatte. Seit der Aufklärung bilden methodisch qualifizierte Neugier und ökonomisch-gesellschaftlicher Nutzen nach Reinhard Moceks treffender Formulierung die „Universalien einer jeden Wissenschaft“.[32] Ein weiterer Aspekt dieser Entwicklung war die um 1800 einsetzende, oft mit der Metapher „Explosion“ versehene erhebliche Bevölkerungszunahme, die durch wissenschaftliche oder wissenschaftsaffine Entwicklungen in Medizin, Hygiene, Ernährung, städtische Gesundheits- und Infrastrukturpolitik sowie durch Änderungen der „mentale(n) Einstellung der Menschen zueinander“ hinsichtlich Verhalten gegenüber Säuglingen und Kranken ermöglich wurde.[33]
Beides, Industrialisierung und Bevölkerungszunahme, bedingen sich gegenseitig. Die Industrie brauchte Arbeiter und Arbeiter benötigten Löhne für ihren Lebensunterhalt. Was auf den ersten Blick als eine Win-win-Situation erscheinen könnte, entpuppte sich jedoch bald als ein System von krasser Ausbeutung der Arbeiterschaft und daraus resultierendem Elend. Charles Dickens hat es in Oliver Twist literarisch dargestellt. Friedrich Engels versuchte in seinem einflussreichen Buch Die Lage der arbeitenden Klasse in England. Nach eigner Anschauung und authentischen Quellen (Leipzig 1845) eine soziologische Analyse, die freilich zugleich eine flammende Anklage der Verhältnisse darstellte.
Es war schließlich Karl Marx, der – durch Engels angeregt – eine umfassende, tiefschürfende und wirkungsmächtige Analyse und Kritik der kapitalistischen Gesellschaft in Verbindung mit dem Postulat ihrer revolutionären Überwindung lieferte. Marx und Engels sind dem Anspruch nach Aufklärer. Sie interessierten sich aber nicht für Naturgesetze wie die Aufklärung 2.0. Ihnen ging es vielmehr um die unterstellten Gesetzmäßigkeiten historischer Entwicklungsprozesse.
Ich denke, dass Karl Popper mit seiner Widerlegung der Marx-Engelsschen Idee historischer Gesetze Recht behalten hat.[34] Eine theoretisch verfehlte Konzeption historischer Verläufe wäre ja an sich kein großes Problem. Es ist der normale Verlauf der Wissenschaft, dass Theorien widerlegt oder korrigiert werden. Politisch, praktisch und sozial verheerend war jedoch der Umstand, dass die durch den Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit motivierten Marxschen Analysen als Blaupause einer brutalen revolutionären Umwälzung in einem Land dienten, das die von Marx statuierten ökonomisch-sozialen Voraussetzungen dafür nicht erfüllte. Der aus der russischen Revolution und dem Sieg der Sowjetunion im 2. Weltkrieg bis 1989 resultierende, „reale Sozialismus“ ist das vielleicht augenfälligste Beispiel für das Burckhardt-Paradox von Dialektik des Bündnisses von Aufklärung und Macht.
Freilich scheint mir Aufklärung 3.0 in Gestalt des Marxismus nicht nur am Burckhardt-Paradox gescheitert zu sein. Auch die marxistische Prätention einer alles erklärenden sozialwissenschaftliche Theorie überschreitet bei weitem das, was sozialwissenschaftliche Theoriebildung zu leisten im Stande ist. Ein soziales Großexperiment wie die gesellschaftliche Umsetzung des leninistisch gefärbten Marxismus ist schlicht wissenschaftliche Hybris und zutiefst unethisch.[35] Das politische und theoretische Versagen des Marxismus bedeutet jedoch nicht, dass nicht manche seiner Analysen – diesmal als punktuelle sozialwissenschaftliche Hypothesen und nicht als „Evangelium“ verstanden - aufklärend wirken könnten für das Verständnis des gegenwärtigen, weit verbreiteten Turbo- oder Raubtierkapitalismus.[36]
So wie Aufklärung 2.0 einen nie zu Ende kommenden Prozess darstellt, ist auch Aufklärung 3.0 nicht abschließbar. Solange es Menschen geben wird, wird es soziale Unterschiede geben. Die marxistische Utopie, sie abzuschaffen, endete bei ihrer Umsetzung im Desaster. Die Aufgabe der Herstellung sozialer Gerechtigkeit als Bedingung von Freiheit und Aufklärung aber bleibt bestehen und ist in unseren europäischen Ländern in unterschiedlichen Graden (noch) erfüllt.

 

Aufklärung 4.0 oder: Aufklärung 1.0 - 3.0 mit den Mitteln des digitalen Zeitalters bewahren!

Angenommen, es würde heute in Deutschland eine repräsentative Umfrage zum Thema „Was ist Aufklärung?“ veranstaltet. Was würde wohl dabei herauskommen? Meine Hypothese: die überwiegende Mehrheit der Befragten würde so etwas antworten wie: „das hat was mit Sex zu tun“.[37] Kurzum, ich vermute, dass sich große Teile der Bevölkerung an die in Aufklärung 2.0 und 3.0 proklamierten Früchte der Aufklärung schon so gewöhnt haben, dass wir gar nicht mehr wissen von welchem Baum sie stammen und dass dieser Baum Pflege benötigt. Meine These ist, dass – in allen europäischen Ländern - gegenaufklärerische Konzepte und Entwicklungen in ihrem Gefährdungspotenzial für das Erreichte nicht mehr erkannt oder grob unterschätzt und schon gar nicht bekämpft werden. Drei dieser gegenaufklärerischen Konzepte seien näher betrachtet: Kulturrelativismus, religiöse Gegenaufklärung und Konsumismus.
Der heutige Kulturrelativismus ist ein Kind der an sich methodisch vernünftigen Kritik am Ethnozentrismus. Diese richtet sich gegen die menschliche Gewohnheit, andere Kulturen durch die Brille der eigenen zu beurteilen.

Von diesem kritischen methodologischen Ansatz ist das postmoderne kulturrelativistische Projekt zu unterscheiden, welches den Universalismus von Aufklärung 2.0 als einen zu überwindenden, eurozentristischen Irrweg betrachtet. Alle Normen, die ethischen eingeschlossen, sind kulturrelativ. Deshalb ist es z.B. nicht oder nur eingeschränkt zulässig, anderswo menschenrechtswidrige Praktiken zu kritisieren, z.B. die weibliche Genitalverstümmelung in weiten Teilen Afrikas. Ein instruktives Beispiel für diesen Relativismus liefert der Sammelband („Bulletin“) des „Zentrums für transdisziplinäre Geschlechterstudien der Humboldt Universität Berlin“, der unterschiedliche Positionen – aber keine Befürworterinnen der Genitalverstümmelung - zu Worte kommen lässt. Schon mit dem Ausschluss der Unterstützerinnen der Genitalverstümmelung deutet sich eine Ambivalenz an, die das ganze Projekt durchzieht.[38] Man findet Genitalverstümmelung bei den transdisziplinären Geschlechterstudien zwar nicht gut, möchte das aber nicht deutlich sagen. Das beginnt bereits bei der Sprache: Die weibliche Genitalverstümmelung wird in dem (deutschsprachigen) Bulletin mit dem englischen Ausdruck „Female Genital Cutting“ bezeichnet, um die mit dem Wort „Verstümmelung“ verbundenen negativen Assoziationen zu vermeiden (S. 8ff.). Sogar afrikanische Frauen aus Kulturen mit Genitalverstümmelung, die sich eindeutig gegen diese Praxis positionieren, wehren sich gegen feministische, „westliche“ Kritik daran mit dem Argument, es handle sich hier um die alte koloniale Bevormundung, welche die Eigenständigkeit afrikanischer Kulturen missachte:

„Eine der Hauptforderungen lautet sicherlich, FGC [female genital cutting] im Kontext zu sehen, d.h. die sozialen, kulturellen und ökonomischen Bedingungen zu betrachten, unter denen weibliche Beschneidungen stattfinden. Nur so können die Funktionen, die die Tradition für die Mädchen und Frauen haben soll und die Ängste, dass diese bei einem Wegfall dieser Tradition nicht erfüllt werden können, verstanden und ernst genommen werden. Dies trifft z. B. zu, wenn FGC als Bedingung der Heiratsfähigkeit gilt und es für Frauen keinen anderen Lebensentwurf und keine andere Versorgungsmöglichkeit als durch die Ehe gibt.“[39]

Nun sind solche und andere kulturbezogenen Informationen für die Erklärung des Phänomens der Genitalverstümmelung gewiss sehr wichtig. Wenn man jedoch die im Zusammenhang mit einem Seminar entstandenen Texte liest, dann erhält man den Eindruck, dass diese Informationen eher zu seiner Rechtfertigung dienen, zumal sie noch mit irreführenden relativierenden Hinweisen angereichert werden, dass es Ähnliches (z.B. Schönheitsoperationen) auch „im Westen“ gebe. Mit Kritik an der angeblich neokolonialistischen, universalistisch orientierten – zweifellos oft arrogant und unsensibel präsentierten, – „westlichen“ Sicht wird hingegen nicht gespart.
Was hier am Beispiel des Menschrechts auf körperliche Unversehrtheit kurz angesprochen wurde, gilt für Menschenrechte generell: in weiten Teilen der Welt, insbesondere in islamischen Ländern oder in China und auch in Putins Russland werden sie ganz oder teilweise als „westlich“ verworfen und es werden ihnen „Menschenrechte im Islam“ oder „asiatische Werte“ entgegen gehalten.[40] Ich meine, wir können und sollen – ohne „zivilisierte Verachtung“ [41] – auf den (vergleichsweise) hohen zivilisatorischen Standard unserer westlichen Gesellschaften stolz sein und uns nicht in politischer Korrektheit vor den Feinden der Aufklärung verbiegen.
Eine der größten Leistungen der Aufklärung ist die Trennung von Religion und Staat. Religion wird dadurch tendenziell zur Privatsache. Das wiederum heißt, dass religiöse Verhaltenskodizes grundsätzlich nicht aufgezwungen werden dürfen. Das ist die Theorie. Die Praxis sieht in den meisten europäischen Ländern etwas anders aus. Die Kirchen und ihre Repräsentanten haben nach wie vor großen Einfluss auf die staatliche Gesetzgebung. Ich möchte das kurz für Deutschland (die Situation in Italien ist nicht besser!)[42] am Beispiel der Sterbehilfe erläutern.[43] Am 6. November 2015 beschloss der Deutsche Bundestag ein Gesetz, das „gewerbsmäßige“ Sterbehilfe, wie sie etwa in der Schweiz durch Organisationen wie „Exit“ betrieben wird, unter Strafe stellt.[44] Die Kirchen spielten bei dieser gesetzlichen Einschränkung der individuellen Freiheit eine wichtige Rolle und haben sich offenbar durchgesetzt.[45] Natürlich wird niemand gläubigen Christen das Recht nehmen wollen, keine Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Umgekehrt ist jedoch in einem säkularen Staat von den Kirchen zu verlangen, sich nicht in die intimsten Belange aller, auch der nicht-gläubigen Bürger einzumischen.[46]
Wesentlich gefährlicher als christliche Nachhutgefechte, die weitgehend von doch im Prinzip aufgeklärten Theologen und Amtsträgern geführt werden, wird sich meines Erachten jedoch auch in Europa die Auseinandersetzung mit dem Mainstream-Islam entwickeln. Diesem ist „Aufklärung“ ein Fremdwort. Die „heiligen“ Texte wie der Koran und die Hadithe (die in der Tradition („Sunna“) überlieferten Aussprüche des Propheten Mohammed) werden dort nicht als Ausdruck einer arabischen Stammeskultur des 7. Jahrhunderts gelesen, sondern als Allahs direkte, überzeitlich gültige Offenbarung, die ohne alle hermeneutischen Finessen wörtlich zu verstehen ist.[47] So ist es nicht verwunderlich, dass z.B. Menschenrechte wie die Rechtsgleichheit zwischen den Geschlechtern als im Widerspruch zu Koran und Sunna stehend angesehen und die schon von Kant kritisierte Haustierhaltung von Frauen als religiöses Gebot empfunden wird.[48] Religionsfreiheit ist nicht vorhanden oder stark eingeschränkt. Atheismus ist in vielen muslimischen Staaten strafbar, unter Umständen sogar mit dem Tod. Das gleiche gilt für Homosexualität. Darüber hinaus herrscht in praktisch keinem muslimischen Land Rede- oder Pressefreiheit.[49]
Bei dieser Islamkritik ist ein wichtiges Caveat zu beachten. Sie betrifft in erster Linie die islamische Gelehrsamkeit an den Universitäten und theologischen Schulen sowie deren politische Umsetzung in den islamischen Staaten. Die „Muslima auf der Straße“ ist – ebenso wie ihr christliches oder nicht-glaubendes Gegenstück - mit anderen als hermeneutischen und politiktheoretischen Themen befasst. Freilich sind insbesondere junge Muslime aus einer Reihe von Gründen offen für religionsbasierte Radikalisierung bis hin zum Terrorismus. Dem gilt es in der Aufklärungsperspektive unserer freien Gesellschaft entgegen zu treten.[50] 
Warum dieses Eintreten für die Aufklärung in Deutschland und Europa kaum sichtbar ist, hat neben dem bereits erwähnten Kulturrelativismus[51] eine wichtige Ursache im Konsumismus unserer Wohlstandsgesellschaften: „Solange ich konsumieren kann, ist mir alles andere egal!“ Das ist das unausgesprochene Lebensmotto weiter Teile unserer Gesellschaften. Störungen der Konsumidylle werden allenfalls mit Wendungen zur radikalen Rechten beantwortet. Der Front National in Frankreich, die AFD in Deutschland oder die Lega Lombarda in Norditalien sind nur einige Beispiele für dieses Reaktionsmuster.

Was tun? – Oder anders: Warum Aufklärung 4.0? – Mir scheint, dass sich der Kampf um die Aufklärung unter den Bedingungen des digitalen Zeitalters auch dessen medialer Mittel bedienen muss – so wie Kant oder andere Aufklärer es zu Zeiten von Aufklärung 2.0 mit den damaligen Kommunikationsmitteln getan haben.[52] Ich meine, dass wir Aufklärer das Internet und die sozialen Netzwerke nicht der Gegenaufklärung überlassen dürfen. Den shitstorms der Crétins aller couleur müssen wir lightstorms der Aufklärung entgegensetzen. 

Hier liegt die Aufklärung weit zurück. Hier nur einige Beispiele: An der Theologischen Fakultät der Universität Erlangen existiert eine „Professur für christliche Publizistik“.[53] Von einem aufklärerischen Pendant irgendwo in der Welt ist mir nichts bekannt. - Papst Franziskus, so sympathisch er ansonsten sein mag, kann kaum als Aufklärer gelten. Aber er betreibt eine außerordentlich frequentierte, interaktive Webseite: http://askpopefrancis.com/.[54] Aufklärer dagegen lieben dicke Wälzer, die kaum einer liest. - Aufklärerische Webseiten existieren kaum.[55] Auf Facebook, Twitter, Instagram, YouTube & Co. finden wir allen Schwachsinn, Mentalschrott und Terror, aber wenig Aufklärung. Es liegt in unserer Hand, das zu ändern: lightstorms statt shitstorms sei die Devise von Aufklärung 4.0.

 

 

Literaturverzeichnis

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Gereon Wolters, On Having the Last Word: Epistemological and Normative Considerations, in «Bollettino della Società Filosofica Italiana», N.S. no. 216 (2015a), pp. 69-87.

Gereon Wolters, Globalizzazione del bene?, Napoli/Salerno 2015 (=Festival Filosofia al Mare, Carlo Tatasciore [Hrsg.], Vol. 6)

     Gereon Wolters, Ethical Limits of Science, Especially Economics, in Wenceslao Gonzalez (ed.), The Limits of Science: An Analysis from “Barriers” to “Confines”, Leiden, Brill, 2016      (im Druck) (=Poznan Studies in the Philosophy of the Sciences and the Humanities, Vol. 109).

 


[1] I. Kant, «Beantwortung der Frage: „Was ist Aufklärung“», in Berlinische Monatsschrift 4.12 (1784), S. 481 (https://de.wikisource.org/wiki/Beantwortung_der_Frage:_Was_ist_Aufkl%C3%A4rung%3F).

[2] Su “La Stampa” (07-07-2016) si legge in un articolo di Paolo Baroni: «La Germania è partita per prima nel 2011 lanciando «Industrie 4.0». Poi, dalla Francia al Regno Unito, dagli Usa a Cina e India, tutti i Paesi più importanti si sono mossi per agganciare il treno della quarta rivoluzione industriale, quella digitale, delle stampanti 3D, dei big data e dell’«Internet delle cose». Adesso, finalmente, arriva anche l’Italia» (http://www.lastampa.it/2016/07/07/economia/piano-industria-ora-arriva-anche-litalia-MXcbe2Svt1mLihuUBLVoYK/pagina.html).

[3] Wir können natürlich nur über schriftlich dokumentierte Aufklärung reden.

[4] Ich folge hier J. Mittelstraß, Die griechische Denkform. Von der Entstehung der Philosophie aus dem Geiste der Geometrie, Berlin-Boston, de Gruyter, 2014, Kap. 1 (Griechische Anfänge des wissenschaftlichen Denkens).

[5] DK 21 B 15, in Die Vorsokratiker (2011), S. 227.

[6]  J. Mittelstraß, Neuzeit und Aufklärung. Studien zur Entstehung der neuzeitlichen Wissenschaft und Philosophie, Berlin-New York, de Gruyter, 1970, S. 50.

[7] Z.B. „Wenn denn nun gefragt wird: Leben wir jetzt in einem aufgeklärten Zeitalter? So ist die Antwort: Nein, aber wohl in einem Zeitalter der Aufklärung.“ (I. Kant, «Beantwortung der Frage«, cit., 491).

[8] J. Mittelstraß, Neuzeit und Aufklärung, cit., S. 87: „Die zweite Aufklärung hat sich selbst als eine Epoche verstanden, die mit dem Vergangenen ein schroffes Ende und der Zukunft einen neuen Anfang gemacht hat.“

[9] Vgl. W. Neugebauer, Absolutistischer Staat und Schulwirklichkeit in Brandenburg—Preußen, Berlin, de Gruyter, 1985.

[10] J. Burckhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch, Darmstadt 1962, S. 89 (=Burckhardt, Gesammelte Werke, Bd. III) – Der Text folgt der 2. Auflage des Werkes von 1869. Wie sich diese Konzeption in der Philosophie realisiert, hat Cassirer (E. Cassirer, Individuum und Kosmos in der Philosophie der Renaissance, Leipzig-Berlin, B.G. Teubner, 1927) exemplarisch dargestellt.

[11] Vgl. die ebenso informative wie unterhaltsame Darstellung in Wolf (Storia dell’Indice. Il Vaticano e i libri proibiti, Roma, Donzelli, 2006). 

[12] S. Martus, Aufklärung. Das deutsche 18. Jahrhundert – ein Epochenbild, Berlin, Rowohlt 2015, S. 13: „Wie kein anderer Beitrag […] hat Kants Aufsatz die Zeit des 18. Jahrhunderts überdauert, und dies liegt auch am unnachahmlichen Schwung seines ersten Absatzes. Nie wieder wurde so glänzend und pointensicher über die Aufklärung geschrieben. […] Kant erwies sich als begnadeter Werbetexter. Er hatte den Slogan für die Aufklärung gefunden.“ – In einem anderen Kontext spricht Martus von Kants “Gedankenmarketing” (S. 14).

[13] I. Kant, «Beantwortung der Frage», cit., S. 484. .

[14] Ivi, S. 481.

[15] Ivi, S. 482.

[16] Ivi, S. 492.

[17] Vgl. G. Wolters, «Having the Last Word: Epistemological and Normative Considerations» in Bollettino della Società Filosofica Italiana, N.S. no. 216 (2015a), S. 69-87 – In Anschluss an Popper und andere (alle wissenschaftlichen Sätze sind Hypothesen) kritisiere ich die Ansprüche religiöser und politischer Autoritäten auf ein letztes Wort in wissenschaftlichen Dingen.

[18] I. Kant, «Beantwortung der Frage», cit., S. 488.

[19] Ivi, S. 490.

[20] Ivi, S. 491.

[21] Singer (The Expanding Circle. Ethics and Sociobiology, New York, Farrar, Straus & Giroux, 1981) hat eine überzeugende historische Rekonstruktion der zunehmenden ethischen Inklusion gegeben. – Ob die Ausdehnung auf Tiere in der von Singer vorgeschlagenen Form allgemeinen Anklang findet, ist jedoch fraglich.

[22] R. Mocek, Neugier und Nutzen. Blicke in die Wissenschaftsgeschichte, Berlin, Dietz, 1988, S. 68.

[23] B. Spinoza, Theologisch-politischer Tractat, in ders., Werke, G. Gawlick – F. Niewöhner (Hrsg.), Darmstadt 1989, Bd. I, Kap. XX (600ff.), 1981.

[24] Die „Berlinische Monatsschrift“, wo Kants hier zitierter Artikel erschien, wurde erst 1783 – also in der letzten Phase der Aufklärung - gegründet, ebenso wie die aufgeklärte „Mittwochsgesellschaft“, deren Sprachrohr sie war. - Der nach dem Tod Friedrichs II (1786) immer stärker werdende kirchlich-staatliche Zensurdruck führte schließlich 1796 zur Einstellung der Zeitschrift. Vgl. G. Wolters, Aufklärung und Religion – damals und heute, in P. Buser, C. Debru, Ph. Meyer (Hrsg.), Die Aufklärung: gestern, heute, morgen […] Gemeinsame Tagung deutscher und französischer Akademien aus Anlass des 50. Jahrestages des Elysée Vertrags, Paris, Hermann Éditeurs, 2013, S. 223.

[25] Diese Formulierung (im konkreten Kontext auf Katholiken bezogen) geht auf folgende Aktennotiz Friedrichs II. zurück: „Die Religionen Müßen alle Tolleriret werden und Mus der Fiscal nuhr das Auge darauf haben das keine der anderen abruch Tuhe, den hier mus ein jeder nach Seiner Faßon Selich werden - Fr.“ - https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_gefl%C3%BCgelter_Worte/J#cite_ref-20 (gesehen Juni 2016).

[26] Text als Wikisource: https://en.wikisource.org/wiki/United_States_Declaration_of_Independence

[27] Text als Wikisource: https://fr.wikisource.org/wiki/D%C3%A9claration_des_Droits_de_l%E2%80%99Homme_et_du_Citoyen

[28] Dafür steht vor allem Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf, Königsberg, 1795. - Den Hintergrund bildet Kants Favorisierung des „Republikanism“, den er in Preußen Friedrichs II. realisiert sieht, während ihm „Demokratie, im eigentlichen Verstande des Worts, notwendig ein Despotism“ zu sein scheint, weil beim „Volk“ sowohl die Legislative als auch die Exekutive liege. (Vgl. S. 25 ff.)

[29] Eine Ausnahme bildeten die sogenannten Frühsozialisten (z.B. Henri de Saint-Simon, Robert Owen oder Charles Fourier).

[30] Für eine rasche Information sei der Wiki-Artikel https://en.wikipedia.org/wiki/Thomas_Jefferson_and_slavery empfohlen (gesehen Juni 2016).

[31] J. Burckhardt, Weltgeschichtliche Betrachtungen, Stuttgart, Spemann, 1969, S. 97. – Die Weltgeschichtlichen Betrachtungen wurden posthum erstmals 1905 publiziert.

[32] R. Mocek, Neugier und Nutzen, cit., S. 260 – Mocek macht darauf aufmerksam, dass die Umsetzung wissenschaftlicher Theorie in industrielle Produkte sehr langsam vonstattenging. Noch die Erfindung der Dampfmaschine war „keineswegs ein Produkt der Akademien oder Universitäten, sondern der Ingenieure und kreativen Handwerker“ (S. 288). Die zugehörige thermodynamische Theorie wurde aus der Analyse funktionierender Maschinen gewonnen.

[33] Vgl. J. Ehmer, Bevölkerungsgeschichte und historische Demographie 1800-2010, München, Oldenbourg Verlag, 2013, S. 38 ff., Zitat S. 40.

[34] K. R. Popper, Das Elend des Historizismus, Tübingen, Mohr, 1965. 

[35] Vgl. G. Wolters, Ethical Limits of Science, Especially Economics, in W. Gonzalez (ed.), The Limits of Science: An Analysis from “Barriers” to “Confines”, Leiden, Brill, 2016 (im Druck) (= Poznan Studies in the Philosophy of the Sciences and the Humanities, Vol. 109).

[36] Piketty (Il capitale nel XXI secolo, Milano, Bompiani, 2014) ist ein vielbeachtetes Beispiel einer solchen marxistisch inspirierten Kapitalismuskritik. 

[37] Dies ist Oswald Kolle (1928-2010) zu verdanken, vom Spiegel zum „Aufklärer der Nation“ ernannt (http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/aufklaerer-der-nation-oswalt-kolle-ist-tot-a-720773.html) (gesehen Juli 2016). Kolle hatte in den 1960er und 1970er Jahren eine multimediale Kampagne zur (sexuellen) „Aufklärung“ gestartet, die bis zum heutigen Tag fortwirkt, etwa in der Auseinandersetzung mit evangelikalen und islamischen Kreisen über sexuelle „Aufklärung“ in der Schule. - Es ist fast ein Alleinstellungsmerkmal der deutschen Sprache, in diesem Kontext von „Aufklärung“ zu sprechen. Im Englischen heißt es „sex education“ und entsprechend auch im Französischen, Italienischen, Finnischen und Niederländischen. Im Russischen jedoch spricht man wie in Deutschland von „Aufklärung“:  Половое просвещение. 

[38]Eine hochinteressante Zusammenstellung von Positionen findet man im Bulletin Texte 28 des Zentrums für transdisziplinäre Geschlechterstudien der HU Berlin: https://www.gender.hu-berlin.de/de/publikationen/gender-bulletins/texte-28/bulletin-texte-28 (gesehen Juni 2016).  

[39] S. Oppermann, J. Wagemann, Afrikanische Perspektiven: Kritik und Erfordernisse im Umgang mit Female Genital Cutting. Female Genital Cutting als umstrittene Thematik, (wie Anm. 38), S. 31.

[40]Ausführlich dazu G. Wolters «On Having the Last Word: Epistemological and Normative Considerations» in Bollettino della Società Filosofica Italiana, N.S. no. 216 (2015), S. 69-87.   

[41] C. Strenger, Zivilisierte Verachtung. Eine Anleitung zur Verteidigung unserer Freiheit, Frankfurt, Suhrkamp Verlag, 2015. Abgesehen vom Titel, der den zitierten Ausdruck enthält, ist dies ein überaus lesenswertes Buch.

[42] Ich erinnere nur an den Fall Welby, vgl. G. Wolters, «The Epistemological Roots of Ecclesiastical Claims to Knowledge», in Axiomathes. An International Journal in Ontology and Cognitive Systems (Dordrecht) 19.4 (2009), 501 ff.

[43] http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=52192

[44 Einen Überblick über die Diskussionen findet man auf der Webseite des Bundestages (gesehen Juli 2016): https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2015/kw45_de_sterbebegleitung/392450.

[45] Für die evangelische Kirche vgl. z.B. das Buch des bayerischen Landesbischofs und EKD Ratsvorsitzenden H. Bedford-Strohm, Leben dürfen – Leben müssen. Die Ablehnung der aktiven Sterbehilfe aus christlicher Sicht,  München, Kösel, 2015.

[46] Nicht alle Theologen unterstützen solche kirchlichen Übergriffe. Vgl. z.B. katholischerseits Küng (H. Küng, A. Will, Glücklich sterben – mit dem Gespräch mit Anne Will, München, Piper Verlag, 2014). – Der Schweizer Küng, der seine Unerschrockenheit u.a. bereits im Kampf gegen das Dogma von der päpstlichen Unfehlbarkeit gezeigt hat, ist im Übrigen Mitglied von „Exit“. – Eine brillante, kritische Kompaktstellungnahme in 50 Sekunden gibt das Video des evangelischen Theologen Friedrich Wilhelm Graf: http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=52192.

[47] Einen sehr instruktiven Überblick gibt der Imam-Sohn und ägyptisch-deutsche Politologe Abdel-Samad (H. Abdel-Samad, Mohamed. Eine Abrechnung, München, Droemer HC, 2015) – Abdel-Samad wurde wegen des gelegentlich polemischen Charakters des Buches mit dem islamistischen „Standardargument“ gegen Kritik konfrontiert: Morddrohungen.

[48] Natürlich gibt es große Unterschiede zwischen den einzelnen muslimischen Ländern und vielleicht auch zwischen Schiiten und Sunniten. Darauf kann hier nicht näher eingegangen werden. 

[49] In der Türkei tut die islamistische AKP nach einem gescheiterten Militärputsch derzeit (Juli 2016) alles, um auch die letzten Reste davon zu kriminalisieren und zu zerstören

[50] Höchst instruktiv ist hier Mansour (A. Mansour, Generation Allah. Warum wir im Kampf gegen den religiösen Extremismus umdenken müssen, Frankfurt, S. Fischer, 2015). Der Psychologe Mansour ist ein arabischer Israeli, der selbst einen religiösen Radikalisierungsprozess durchgemacht hat und heute in Deutschland wichtige Präventionsarbeit leistet.

[51] Hier gilt Islamkritik in der Regel als ein pathologisches Phänomen: „Islamophobie“.

[52] Man denke z.B. auch an das medial völlig neue Format der französischen Encyclopédie von Diderot und d’Alembert.

[53] http://www.theologie.uni-erlangen.de/professur-fuer-christliche-publizistik.html (gesehen Juni 2016).

[54] Gesehen Juli 2016.

[55] Eines der wenigen deutschen Beispiele ist die Seite der Giordano Bruno Stiftung: http://www.giordano-bruno-stiftung.de/ (gesehen Juli 2016).

 


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AUFKLäRUNG , SOZIALE GERECHTIGKEIT , FREIHEIT


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Filosofia

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